Samstag, 7. September 2013

Öfters mal ent-schleunigen!




Wellness hat Inflation. Es gibt Wellnessmassagen für Babys, Wellnesskekse für Dackel und Wellnessberater für die, die alles haben außer guter Laune. Gleichzeitig lieben wir Multitasking. Auf dem Smartphone tippen und dabei einen Vortrag hören, einem Podcast lauschen und gleichzeitig einen Aufsatz schreiben, telefonieren und nach virtuellen Moorhühner jagen - viele junge Leute tun dies. Mütter konnten das schon lange, nur hieß das Haushalt. 

Uns scheint die Zeit durch die Finger zu rinnen, aber es gibt keine Zeit, die abrinnt, nur Zeit, die wir nutzen oder vergeuden. Je älter wir werden, desto schneller scheint sie zu vergehen. Das liegt daran, dass wir mit zunehmenden Jahren einfach schon so viel davon hatten - von allem? Ist langsamer zu leben der neue Wellness-Luxus?

Bei der Erfindung der Eisenbahn ging neben Erstaunen auch ein Aufschrei durchs Land. Eine Geschwindigkeit über 30 Stundenkilometer stand im Verdacht, bei den Fahrgästen Gehirnerweichung nach sich zu ziehen. Seitdem musste die Menschheit immer schneller werden und ihr Selbstwertgefühl nach einer sich stetig steigernden Anerkennungsquote orientieren, die nie ganz ausreicht, weil die eigene Leistung ständig von anderen überboten wird. Erwiesen und durch Beispiele belegt aber ist, dass echte Leistung nur dann erreicht wird, wenn jemand an bestimmten Wertvorstellungen festhält und weiß, was ihm wirklich wichtig ist.

Einfach mal Fünfe gerade sein lassen ..

Heute scheint uns dieses Gefühl verloren zu gehen, unsere eigene innere Logik und intuitive Selbstwahrnehmung sind vielfach nicht mehr der Kompass unseres Denkens und Handelns. Zeit war in allen Zeiten kostbar, aber nie so gefährdet wie heute. Eigentlich hätte sie in früheren Epochen als viel kostbarer empfunden werden müssen, da die Lebenserwartung niedrig war. Aber das war niemandem bewusst. Alles ist relativ. Wenn in der Antike ein 45-jähriger als würdiger Senior geachtet wurde, ist es heute ein 80-Jähriger. 

Ein Paradox: Gerade die durch Hochtechnologie geförderte Beschleunigung sollte uns mehr Zeit schenken für die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Doch "Ich-Zeit" wird angeordnet und kontrolliert wie Arbeitszeit, Familienzeit auf ein Minimum beschränkt, Emotionen und Gefühle dürfen uns nicht zu viel Zeit rauben. Krisen werden als Manko angesehen, dabei sind sie auch ein Nährboden für Wachstum und Entwicklung.

Menschen fühlen sich am wohlsten, wenn sie sich Beschäftigungen widmen können, die sie mit ihrem Innersten eng verbinden, auf dessen Resultat sie Einfluss haben, wo sie sich selbstbestimmt fühlen können. Warum vergeuden wir also viel Zeit damit, uns von außen bewegen, berieseln, anregen und bestimmen zu lassen? Durch Fernsehen, hyperaktiven Freizeitmüll, Überhäufung von Pflichten, Kaufzwängen, die nicht wirklich und nur kurzzeitig befriedigen?

Einfach mal wieder den Aus-Knopf drücken, einige Stundenkilometer herunterschalten, das Tempo drosseln ohne Panik, dadurch die Kontrolle aus der Hand zu geben. Sich den Tag wie ein Praliné auf der Zunge zergehen lassen. Den Computer ausklicken, einen geschätzten Menschen anrufen und ihm Zeit schenken.Kleine Gesten wertschätzen. Augenblicke der Nähe. Sich der Dinge klar werden, die man um sich gehäuft hat - und entmotten, verkleinern, in wichtig/unwichtig sortieren, um das was dann noch Bestand hat endlich genießen zu können. 

Zeit im Überfluss - Wellness, die nix kostet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen