Sonntag, 1. Februar 2015

Sonntagsthema: Das Leben ist ein Drehbuch – Kommunikation auch


.. oder warum deutsches Bier Storytelling braucht


Ja, stimmt, war mein Traum – Drehbuchautorin – und all das Lesen, Üben, Filme gucken hat auch meine Prosa geprägt, gerade Unternehmenstexte bekommen einen Touch davon ab. Show, don't tell! So isses!

Bilder (zumal bewegte) – das wissen wir ja nicht erst seit dem Internet – dringen schneller ins Bewusstsein als statische Bleiwüsten, sie haben innerhalb der auf uns einstürzenden Informationsflut von Wort, Posting, Blog, Content ungleich mehr Präsenz - Untertitel profitieren davon. Nach der ersten Phase des Staunens und Schauens kommt dann unweigerlich die zweite, in der der visuell gekaperte Mensch auch kognitiv mehr wissen will. Spätestens dann hat das geschriebene Wort Vorrang, vor allem wenn es um komplexe und erklärungsbedürftige Zusammenhänge geht.


Und warum törnt uns Bierwerbung im TV-Spot ab? 


Wenn sich junge gut anzusehende Menschen an der Theke, im Biergarten oder im Grünen (vorzugsweise picknickend an einen dicken Baumstamm gelehnt, sehr unbequem) zuprosten, als hätten sie gerade von einem Lottogewinn erfahren - während die Budweiser-Hundewelpenstory ganz ohne ein einziges Pilsglas auskommt? Weil ersteres einfach nur einfältig ist. 

Laut neueren Studien schmecken die hierzulande gebrauten Biere – und wir sind das Land mit den meisten Biersorten weltweit – ziemlich identisch, da sie alle mit derselben Hopfensorte (und wohl auch Gerste) gebraut werden. Nur die Stammwürze und ein paar Extras (die man wohl lieber nicht kennen will) machen den  Unterschied.

Das ist pils-bitter für die Markenfachleute, die das einzig wahre Pils neu erfinden müssen. Und dies gilt für Billig- und Premiumbiere gleichermaßen. Im Premiumbereich ist sogar der Preis nicht markenprägend, alle kosten irjenswie gleich viel. (War da nicht auch mal ein klitzekleiner Preis-Absprache-Skandal unter den Elefanten der Branche, den das Kartellamt mit saftigen, keineswegs süffigen Bußgeldern abstrafte?) 

Das am meisten gesüffelte Bier ist übrigens eine Marke mit der ein Rausch deutlich kostengünstiger zu machen ist als mit den Branchenriesen. Umso mehr muss die karge Unterscheidbarkeit durch eine tieferliegende Story wettgemacht werden. Durch Emotion und wieder Emotion, durch Humor und Ironie, und durch intelligente Stories, die uns das Herz erwärmen, so stark, dass wir Durst bekommen. Auf Bier. Oder so.


Storytelling holt die Marketingkommunikation aus dem Erklär-Notstand


Allerdings nur richtig verstandenes und kreativ-strategisch eingesetztes Storytelling. Eine runde Geschichte braucht zwangsläufig eine schöpferische Absicht, etwas was tiefer liegt als das reine Wort, die reason why. Was und von wem und für wen wird wie erzählt? Nach der Frage: Was läuft hier ab? geht es tiefer: Worum geht es wirklich?

Die Handlung ist beileibe nicht der (das) Plot. Eine Story braucht einen Helden, den Protagonisten, in dem sich der Leser/Zuschauer spiegelt und mit dem er, auch wenn er "böse" ist, mitleiden kann. Das funktioniert, wenn der böse Held auch menschliche Schwächen hat. Und idealerweise gibt es einen gleich starken Antagonisten (den Gegenspieler), der böse Cop im Detektivfilm, der dem Helden an den Kragen will. Und das bringt uns zum zentralen Konflikt - ohne den geht gar nichts. 

Ein Hauptkonflikt kann, ja muss klar und stark vereinfacht definiert werden können. "Junger Mann liebt junge Frau. Das Leben trennt sie. Jahrzehnte vergehen. Doch treue Liebe findet einen Weg." Schööön! Der Held durchläuft einen Hürdenlauf aus sich steigernden Aufgaben und Abenteuern, er überspringt fast unüberwindbar scheinende Hindernisse, stürzt den Zuschauer in einen Strudel aus Lust und Angst und kehrt von dieser Reise in der Regel geläutert, verändert, geheilt oder glücklich verliebt zurück. Auch schon mal tot – aber dann ist es eine Tragödie, und dort wird eben gestorben. Auf seinem Weg hat er sich mit Drachen geschlagen, den Schatz der Nibelungen gefunden oder Rosenputtel (oder war es Aschenröschen?) von Unbill befreit. Er hat sich innerhalb seines Plots selbst verwirklich.

Plots, Fabeln, Grundthemen (früher nannte man es "Moral"), Grundmuster auf der Basis menschlicher Emotionen, die sich in immer neuer Gestalt stets neu erfinden, gibt es genau 20 (sagt Drehbuchlehrer Ronald B. Tobias), mit Spielarten, versteht sich. Geschichten bieten per se keine Lösungen (das unterscheidet sie vom klassischen Marketing), sie bilden einen Konflikt ab und zerren den Zuschauer/Leser hinein ins Fegefeuer der Gefühle. In sich tragen sie die Kraft der viralen Verbreitung. Vorausgesetzt, sie sind spannend, packend, empathisch.

Scheherazade lebt


Menschen wollen was über Menschen erfahren. Sie wollen wissen, warum handelt der Held so wie er es tut, damit sie mit ihm leiden können. Hat eine Geschichte gleichzeitig mehrere Helden, übersteigt es ihre Wahrnehmungs- und Einfühlungskraft. Nebenhelden sind okay, aber die müssen sich unterordnen. Geschickt integrierte Nebenhandlungen dienen der entspannenden Unterhaltung (in der Commedia dell'arte stellt das Dienerpaar das urwüchsig-bodenständige Gegenstück zu den beiden höher gestellten jungen Liebenden dar). Auch Nebenhandlungen brauchen einen Spannungsbogen bis zum schlüssigen Ende (vorzugsweise happy) und unterstützen den dramatischen Hauptkonflikt, wenn sie ihn nicht sogar vorantreiben. Eine so erzählte Geschichte kann Sprengkraft haben, das weiß die Werbung, Coca Cola verinnerlicht es, Budweiser (Stichwort: Hundewelpen!) auch. *


Was ist die Moral von der Geschicht?


Sprich nicht über die Marke, erzähl Geschichten, die die Markencharaktereigenschaften fokussieren und sich geschmeidig in den Marken-Kontext einfügen. Finde ein Meta-Thema, das die intendierte Markenidentität (und auch Dienstleistungen sind eine Marke) spiegelt und wie ein Satellit umkreist.  Das setzt eine hübsche Kettenreaktion in Gang: Die Quintessenz der Story wird zur zentralen Markeneigenschaft und diese wird von dem adoptiert, der sich für die Marke entscheidet. Dass hier keine kognitiven, sondern unbewusste Signale beitragen, bleibt im Halbdunkel. Die Kunst ist es, die Storyaussage harmonisch in die Markeninteressen einzubinden. Und kaum einer durchschaut die Absicht, doch jeder (den die Story berührt hat) trinkt das Bier!

Na denn Prost!

* Im jüngsten Haribo-Spot war dies zu besichtigen. Der Spot, der den Übergang vom Anchorman Gottschalk zu Bully Herbig inszenierte, war an Sympathiegewinn, Schmunzeleffekt und Unterhaltungswert kaum zu überbieten.

Foto: Fotolia

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